Löffel-Liste,  Mamalächeln,  Therapie,  Trauer

Löffelliste 2018 – Einen Luftballon in den Himmel steigen lassen

Guten Tag, Chaos im Kopf.
Und ich bekomme es nicht wirklich gut sortiert. Deswegen war dieser Punkt auf meiner Löffelliste heute sehr wichtig für mich.

Ich weiß nicht wie ich anfangen soll. Aber dank einer richtig tollen Frau, mit der ich die letzten zwei Wochen richtig viel gemacht habe, und die ich nicht mehr missen will, weiß ich jetzt, das auch schreiben gut ist. Wenn du nicht sagen kannst, was du brauchst, dann schreib es auf. Und Schreiben kann ich. Und ich weiß auch, dass Schreiben mein WirrWarr in meinem Oberstübchen, in meinem Bauch und in meinem ganzen Körper zumindest sortiert. Deswegen schreibe ich einfach mal drauf los und schaue, was aus mir raus will. Ohne Plan und ohne Ziel. Keine Ahnung, wohin mich dieser Blogbeitrag bringt.

Deswegen fange ich einfach mal mit den heutigen Tatsachen an. Diese Dinge muss ich nicht fühlen, die sind Fakt und gesetzt.

Heute ist der 16. August 2018. Ein Donnerstag. Die Sonne schien heute. Es war warm. Jetzt ist es gerade 20:50 Uhr und ich erhole von zwei durchgemachten Panikattacken, die ich heute erlebt habe. Ich sitze am PC, habe Kopfhörer auf und höre Musik. Der Sänger der Band „Midnight Hour“ singt mir ins Ohr, wie gerne er jetzt weglaufen will und sich verstecken möchte, damit ihn keiner findet und er sich nicht mit seinen Gefühlen auseinandersetzen muss. („Running away“).
Ja, das geht mir auch durch den Kopf. Aber weglaufen zählt ja nicht.
Meinen Mama wäre heute 66 Jahre alt geworden. Der zweite Geburtstag, den wir ohne sie erlebt haben.
Vor einem Jahr begannen auf dem Friedhof meine Panikattaken so richtig schlimm. Da zog das kleine Monster in mir ein. Toni heißt es mittlerweile. Weil ich Toni mit Lachen verbinde. Der Name Toni kommt aus dem Chor. Aus Tommy wurde Toni.
Ich muss schon wieder grinsen, wenn ich an unsere Chorleiterin denke, die aus dem armen Tommy, der an den Docks arbeitet, immer wieder Toni gemacht hat. Tja, so kam mein kleines Monster Panik zum Namen Toni.

Ich weiß nicht, was ich von dem heutigen Tag erwartet habe.
Der Jahrestag von Toni und mir, der 66. Geburtstag meiner Mama. Ein Zeichen von ihr wäre vielleicht schön gewesen. Ein Einsehen von Toni, dass er endlich geht.
Aber nichts dergleichen geschah.

Ich wusste nur heute morgen schon, ich möchte auf den Friedhof. Und allein der Gedanke brachte Toni auf den Plan. Heute morgen um vier Uhr setzte er sich auf meine Burst und lachte mich aus. Grinste mich frech an, machte mir einen fetten Kloß in Hals, raubte mir den Atem und machte mich ganz unruhig.
Ich konnte mich ein wenig ablenken. Ich hatte ein wirklich spannendes Buch angefangen und Toni konnte ich den ganzen Tag so ein wenig in den Hintergrund verbannen.

Bis um 14 Uhr etwa. Dann wurde es Zeit für meinen Termin bei meiner Psychotherapie. Das war wirklich purer Zufall, dass ich diesen Termin direkt nach dem Urlaub von dem Franke bekam. Oder doch Schicksal? Mittlerweile glaube ich nicht mehr an Zufälle. Ich glaube, irgendwer steuert hier irgendwas. Anders kann ich mir diese Zufälle der letzten Wochen nicht erklären. Was immer gerade passiert. Ich bin dankbar. Trotz Toni.

Sascha brachte mich zur Therapie. Ich merkte schon auf dem Hinweg, wie sich meine Kehle zuschnürrte. Genial. Besuch von Toni während der Therapiesitzung war nun echt Premiere.
Doch mir gelang es, Toni wieder in meine Füße zu schicken.

Wir redeten über das, was die letzten Wochen passiert ist. Über meinen Papa, über neue Freunde, und natürlich kam auch der Friedhof und meine Trauer zur Sprache. Ich gab zu, dass ich mich erfolgreich gedrückt hatte.
Er verstand das, ich solle alles in meinem Tempo machen und machte mir Mut für den Besuch bei Mama heute Abend. Und ich solle versuchen, es zu ertragen und Worte in meinem Chaos zu greifen. Denn es ist nicht der Ort, der mir Panik macht, sondern irgendwas, was in meiner „Datenautobahn“ losgetreten wird.
In meinem Kopf verstehe ich das. Aber Toni kapiert das nicht. Der hört nur Friedhof und freut sich wie ein kleines Kind, dass er sich wieder auf meine Kehle setzen darf und mir so richtig Übelkeit bescheren kann.

Schon in der Straßenbahn ging es mir nicht gut. Ich hatte Luftnot, konnte mich nicht aufs Lesen konzentrieren und mir war schwindelig.
Ich hatte schon das Handy in der Hand, weil ich einfach jemanden brauchte, der mir irgendwas erzählt. Mir das Gefühl gibt, du bist nicht allein. Aber ich kam gar nicht zum Wählen, denn in dem Moment klingelte mein Handy. Zufall? Erwähnte ich schon einmal, dass ich nicht mehr an Zufälle glaube? Wer immer ihr auch gesagt hat, ruf Claudia an, dem danke ich. Der Anruf kam so richtig. Löste so ein wenig was in mir und es half mir, Toni erstmal wieder zu verscheuchen.

Ich habe also Blumen geholt, den Luftballon meiner Löffelliste und bin mit Sascha und Oscar auf den Friedhof. Der Hinweg ging tatsächlich einigermaßen. Sascha blubberte fröhlich vor sich hin, Sachen, die ich nicht verstand, aber das war mir egal. Es tat gut, dass ich mich ablenken lassen konnte, auch wenn das eigentlich ja nicht die Spielregel war. Doch ich schaffte es bis zum Grab, konnte die Blumen hinstellen und den Ballon fliegen lassen.

Doch dann musste ich mich setzen. Es kam von jetzt auf gleich, keine Chance zu hören, was mein Kopf so für Wörter von sich gab. Es war Chaos pur. In mir steckte soviel drin, was rauswollte, aber ich saß wie so unter einer Käseglocke. Alles was in mir war, konnte einfach nicht raus. Wurde von dem Glas um mich herum abgehalten.
Es half, dass Sascha dabei war. Er merkte genau wie es mir ging und ohne das ich ihm was sagen musste, zählte er meine Empfindungen auf.

Es war wirklich erschreckend und beeindruckend zugleich.

Kurzum. Ich habe es mit Blessuren geschafft. Ich habe es ausgehalten und war fix und fertig und froh, als ich wieder im Auto saß.
Im Nachhinein kann ich es jetzt besser in Worte fassen, allerdings sind es noch immer keine richtigen Schlagworte, sondern nur das Gefühl, was ich beschreiben kann.
Es fühlt sich bedrückend an und tut weh. Es tut einfach überall weh. Selbst jetzt, wenn ich nur drüber schreibe.
Es stand kurz vor Ausbruch, was immer es ist. Aber ich habe Angst, wenn ich es rauslasse, dass es mich fortspült wie so ein Tsunami und ich das rettende Ufer nicht mehr finde. Ich kann zwar schwimmen, aber ich habe Angst davor, die Kraft dann nicht aufbringen zu können. Es würde mich wegspülen und ich wäre für immer verloren…

Ich versuche es mal mit Worten, auch wenn ich nicht weiß, ob sie richtig sind. Es sind Vermutungen, die mir vielleicht durch den Kopf gehen, wenn ich vom Nebel des Chaos beherrscht werde und ich nicht klar denken kann. Geht mir das vielleicht durch den Kopf, wenn Toni auf dem Friedhof Amok läuft?

Trauer, Traurigkeit, Mutlosigkeit
tierisches Vermissen
Wut auf mich, dass ich nicht Weinen kann
Wut auf Mama, dass sie nicht mehr da ist, dass sie einfach gegangen ist, ohne dass wir sie nochmal sehen oder sprechen konnten? Ich konnte mich nicht verabschieden, obwohl ich nur einen Raum neben ihrem Zimmer saß… das ist so ungerecht, fies und verfickt nochmal kacke.
Verständnislosigkeit, dass sie weg ist
Unverständnis, die Situation nicht greifen können
Hilflosigkeit
Und vor allen Dingen Angst… Angst vor dem Tod und der Ungewissheit, ob es ihr wirklich gut geht.

Heute war zu allem Überfluss ein frisches Urnengrab ausgehoben gewesen. Es war mit diesem grünen Kunstrasen abgedeckt gewesen. Da wird morgen sicher auch eine Familie stehen und das ganze unbegreiflich finden…
Das gab mir, glaube ich, den Rest.

Wenn das wirklich in nur einer Sekunde in meinem Kopf rumspukt, wenn Toni mich übermannt, dann ist es kein Wunder, dass es in mir wie Chaos aussieht.

Ich weiß, was ich machen muss. Ich muss nochmal zum Friedhof. Alleine. Und es mir ganz bewusst machen. Ich habe es heute überlebt. Und ich werde es auch wieder überleben.

Puh, dass wird ein langer Weg, aber ich gehe ihn mit der Gewissheit, dass ich nicht alleine bin und ich nur was sagen muss, wenn ich Hilfe brauche. Aber irgendwie ist neben den ganzen negativen Wörtern auch noch etwas positives….
Trost….

Und Trost bedeutet Heilung. Und immer wenn was heilt, dann tut es weh. Also Claudia, Zähne zusammenbeißen und stell dich Toni… Es kann nur gut werden. Wirst sehen.