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Märchen schreibt die Zeit

Kennt ihr eigentlich das Lied von der Gruppe „Die Ärzte“?
„Lasse redn“ heißt der Song und ich finde, dass einfach alles in diesem Lied stimmt. Der Text, die Ironie, die Musik.

Ich hoffe, dass ihr den alle kennt. Ich habe mir eine Stelle für den heutigen Blogpost herausgesucht, die meine Situation als Familienmitglied gerade sehr passend beschreibt!

„Lass die Leute reden und hör einfach nicht hin
Die meisten Leute haben ja gar nichts Böses im Sinn
Es ist ihr eintöniges Leben, was sie quält
Und der Tag wird interessanter, wenn man Märchen erzählt“

„Lass die Leute reden!“

Ja, natürlich lasse ich sie reden. Es gibt ja auch nichts Schöneres als Worte. Sie bereichern unser Leben. Ich höre gerne zu, wenn Leute reden. Ich mag zum Beispiel Hörspiele, die würden ohne reden gar nicht entstehen, ich mag Theater und Kino. Und auch da sollten die Menschen des Redens mächtig sein. Ich mag sogar die Reden im deutschen Bundestag. Entweder, weil sie voller Leidenschaft für das Thema vorgetragen werden oder weil ich mich herrlich über die Dummheit so mancher Fraktionszugehörigen amüsieren kann. Dabei spielt natürlich immer meine persönliche politische Einstellung eine Rolle, was ich mag und was ich nicht mag. Aber das soll hier jetzt gar nicht zum Thema werden, deswegen werde ich darüber jetzt nicht reden.

Ich finde es wichtig, dass man weiß, wann man reden sollte und wann nicht. Wenn ich Ahnung habe, ich etwas zum allgemeinen Thema mit Hintergrund sagen kann, dann finde ich es wichtig, seine Ansichten zu teilen. Auch wenn es vielleicht mal kontrovers zu anderer Leute Meinung ist, die gerade vorher geredet haben. Aber oft kommt ja dann aus solch gegensätzlich geredeten Texten etwas Konstruktives raus.
Oder ich sage etwas Erheiterndes, etwas Tröstendes oder schwelge in Erinnerungen. Manchmal ist auch so etwas wie Small Talk durchaus angebracht. Gespräche über das Wetter und die Gesundheit finde ich sehr kurzweilig. Mich kann man auch mit Gespräche über Einhörner faszinieren, ist erfunden, aber ich tu mit diesen Worten keinem weh.

Aber es ist halt auch wichtig zu erkennen, wann man einfach die Schnauze halten sollte. Zum Beispiel, wenn man weiß, dass man einfach keine Ahnung hat. Meistens wissen es die Betroffenen nur leider nicht und geben trotzdem fröhlich zu allem ihre Meinung ab und verbreiten somit dummes, haltloses Halbwissen, was durchaus mal gefährlich werden kann. Aber so etwas kann man gut filtern, wenn man sich belesen macht und selbst recherchiert und nicht sofort jeden Bockmist glaubt. Und auch zum Lesen sollte man dann kurz mal den Mund halten.

Auch wenn etwas beleidigend ist, man anderen Menschen weh tun würde oder man einfach nur kackfrech lügt, um andere zu schaden oder Menschen gegenseitig aufzuschaukeln, dann sollte man sich doch lieber auf die Zunge beißen, bevor etwas Schlimmes passiert.

„Hör einfach nicht hin!“

Ja, das beherzige ich natürlich. Das habe ich durch harte Schule lernen müssen. Diese Dummschwätzer, die mich nicht kennen, die mich nur nach dem beurteilen, was sie sehen…. Die Fraktion von Menschen, die einfach in die Kategorie „Fresse halten“ gehören, die kann ich ausblenden.
Solche Menschen, die mir sagen, oder auch hinter meinem Rücken lästern:
„Boah, ist die dick!“ (Das könnt ihr mit allen möglichen Phrasen natürlich erweitern. Von Elefant bis Sau mit den verschiedensten Adjektiven kenne ich alles und es gibt wahrscheinlich keinen Spruch, den ich noch nicht in meinem Leben gehört habe!)
Je nachdem wie ich dann gerade so drauf bin, ignoriere ich die, oder gebe eine passende Antwort ab.
Mit so etwas wie:
„Ja, natürlich bin ich dick, aber nicht taub“ habe ich schon so manch schräge Reaktion erlebt. Denn es herrscht der allgemeine Irrglaube, dass beleibte Menschen nicht nur dick sind, sondern dass es auch Folgeerscheinungen gibt. So etwas wie Taubheit, Dummheit, Blindheit…..
Aber nochmal kurz für Unwissende: Ja, ich bin dick, boah, ich hab nen Spiegel zu Hause… aber…. Mein Gehirn, das funktioniert noch. Und das ist wahrscheinlich besser, als das, von beschränkten Menschen, die dumm reden.

Bei mir fremden Menschen, da kann ich das ignorieren, denen verzeihe ich auch die Dummheit ihrerseits. Sie wissen es eben nicht besser. Und wenn sie ihren Spaß dabei haben. Sehr gerne und nur zu. Ich finde es toll, Menschen mit meiner bloßen Anwesenheit erheitern zu können. Kann ich damit wohl Geld verdienen?

Aber was mich dann doch trifft, sind geschriebene Worte von Verwandten. Besonders dann, wenn ich keinen Spruch zurückgeben kann. Da wird dann lauter hohles Zeug geschrieben, also virtuell geredet, von dem man wegen nicht ausreichendem Hintergrundwissen keine Ahnung hat und dann wird der Empfänger sofort geblockt.

Und ich sitze da und danke nur: Häh?
Was sollste da auch anderes denken?
Die Frau kennt mich nicht, mit der hatte ich seit, keine Ahnung, 25 Jahren keinen Kontakt. Ich meine, ich kann sie durchaus entschuldigen. Denn eigentlich gehört sie, obwohl ich mit ihr verwandt bin zu den fremden Menschen von der Straße, die einfach keinen Deut davon haben, wer ich bin. Wer in der dicken Hülle drin steckt.

Ich hätte gerne kurz ein Statement abgegeben. So etwas wie:
„Ich wünsche dir auch einen schönen Tag, ja Papa geht es gut. Und nein, wir können noch nicht hin, weil der Arzt uns davon abgeraten hat. Und dir könnte, nur meiner Meinung nach, ein wenig Gehirnmasse nicht schaden. Davon scheinst du nämlich zu wenig zu haben. Aber danke, dass du mir diese freundlichen Tipps zum Abnehmen gibst. Es ist toll, eine Tante zu haben, die mir sagt, dass ich nur mit Bewegung abnehmen kann. Und mir war gar nicht bewusst, wie scheiße ich doch bin.“

Ihr wisst schon, freundlich aber bestimmt. Das war meine erste Reaktion. Doch ich konnte ja leider nix antworten, ich wurde ja direkt im facebook Messanger gesperrt. Nicht nur kackfrech von ihr, mir solche Sprüche reinzuwürgen, nein, feige auch noch dazu. Und das mit…. Hmmmm, fast an die 60, glaube ich…
Aber hey, soviel Mühe mache ich mir bei „Fresse halten“ Kandidaten ja auch nicht. Eher bekommen die von mir Mitleid, weil sie sich nicht um Hintergrundwissen bemühen. Aber wie sollen sie auch, wenn sie mit Bullshit labern schon ausgelastet sind, da erwarte ich sicher zu viel. Das tut mir leid.

„Die meisten Leute haben ja nichts Böses im Sinn!“

Stimmt, zu 99 %. Sie wissen es halt nichts besser, wenn sie einfach drauflosreden. Nicht umsonst gibt es ja den Spruch:

„Vor in Betriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten.“

Doch leider sind viele Gehirne Montagsprodukte. Da können schon mal Fehlfunktionen auftreten. Das stimmt mich sehr traurig für solche Menschen. Denn während ich meine Kaffeemaschine, die an einem Montag erbaut wurde, umtauschen kann, müssen die armen Menschen mit ihrem Montagsgehirn bis zu ihrem Dahinscheiden leben. Ach, das ist echt traurig.

Dieser letzte 1% der ist allerdings doch böse. Der beschimpft dich, weil er es will. Weil du der Sündenbock für ihn bist.
Ja, ich war schon immer an allem schuld. Mit meiner Schwester und meiner Mama sind wir schuld gewesen, dass mein Papa nun hier lebt.
Fragt nicht. Erinnert euch einfach an das Lied Hänschen klein, nur das Hans halt der Meinung war, dass es woanders schöner ist, als zu Hause. Ist halt manchmal so.

Ich bin meiner Tante nicht böse, auch wenn ich weiß, dass sie schon immer so war und ich weiß, was sie so denkt.
Aber ich habe im toom vor ein paar Tagen so richtig stylische Besen gesehen. Die kehren vor ihrer Haustür sicher blendend. Und wenn es nicht reicht, Vorwerk hat ein großartiges Staubsauger-Sortiment. Bestimmt auch mit Spezialdüsen.

 

„Es ist ihr eintöniges Leben, das sie quält“

BINGO.
Die „Halt die Fresse“ Kandidaten haben nichts anderes, womit sie sich beschäftigen könnten, außer dumm über andere zu reden. Ihr eigenes Leben ist verhunzt, langweilig und vielleicht auch nur gescheitert.
Ich bin mir sicher, sie haben Angst, mal sich selbst zu reflektieren. Was läuft bei mir falsch, warum trau ich mich nicht, mich mit mir und meinem Leben zu beschäftigen. Warum muss ich immer noch andere mit ins Boot holen und auch deren Leben bewerten.
Ich frage mich halt, was diesen Menschen fehlt. Wurden sie zu Hause nicht genug geliebt?

Natürlich darf jeder mein Leben bewerten. Ich freue mich über Feedback zu meinem Leben. Aber halt nicht so, wie meine Tante meint, mich bewerten zu müssen. Vorwürfe, ohne Hand und Fuß und Hirn.
Anstatt nachzufragen, was gerade los ist, ob sie helfen kann.
Labern kann ja jeder (habe ich heute auch wieder auf facebook zum Thema Warnstreik erlebt), aber mal konkret handeln und helfen, damit man an den Sachen, die man gerade so scheiße findet oder die falsch laufen, was ändern kann, darauf kommen die nicht.
Da kann ich euch nur meinen Mittelfinger zeigen, reden kommt da wahrscheinlich nicht an.

Du meckerst, weil du denkst, dass alles falsch ist? Halt die Backen und mach selbst. Also, meine großartigen Tanten, kommt her und helft. Ansonsten: Arsch lecken und Fresse halten. Obwohl, wenn ihr mir den Arsch leckt, dann ist es mit dem Reden eh schwer. Und ihr wisst doch: Mit vollem Munde redet man nicht!

„Und der Tag wird interessanter, wenn man Märchen erzählt!“

Irgendwas läuft schief? Man selber kann nicht dran schuld sein, es müssen andere sein. Also denken wir uns was aus. Dann kann man sich selbst als Held feiern lassen und andere so richtig in die Scheiße reiten.

Das ist bestimmt ein tolles Gefühl, wenn man wie Superman ist und mit seinen Märchen die ganze  Welt, oder halt auch seinen eignes Amöbenuniversum  retten kann.

„Ich mach mir die Welt, widde widde, wie sie mir gefällt!“

Das wusste sogar Pipi Langstrumpf schon, dass das Spaß macht.

Wegen mir sollen ganz viele Menschen ganz viele Märchen über mich erzählen. Das blöde ist nur, diese Märchen werden, im Gegensatz zu den Gebrüdern Grimm, kein Happy End haben. Da bin ich der böse Wolf, die böse Stiefmutter oder die Hexe.

Deswegen meine Bitte: Wenn ihr schon Märchen über andere erzählt, dann lasst die Hauptprotagonisten doch miterzählen. Geschichten aus der Ich-Perspektive sind viel spannender und vielschichtiger. Der Hauptprotagonist bekommt seinen ganz eigenen, tiefgründigen Charakter und kann zu Geschichte bestimmt einige Wendungen beitragen, die man nur durch den Märchenerzähler gar nicht mitbekommen hätte.

Das würde ich mir auch wünschen. Im meiner Familie mal so richtig Tacheles zu reden. Damit man auch mal die andere Seite hört.

Aber wie heißt es bei „Die Schöne und das Biest“?

Märchen schreibt die Zeit. Unsere Zeit wird kommen. Bis dahin darf das jeder lesen, auch meine Tante.
Denn ich weiß, dass sie das geschrieben hat, damit wir uns so richtig ärgern. Daraus mach ich auch kein Geheimnis. Aber ich ärger mich gar nicht über ihre Worte, sie kennt mich halt leider nicht. Aber ich ärger mich darüber, dass ich das Märchen nicht auch aus meiner Perspektive erzählen kann.

Aber die, die mich kennen, die wissen, wer ich bin. Und die glauben diese Märchen auch nicht. Und die anderen können mir gestohlen bleiben.

Komm Einhorn, lass uns Schaukeln gehen, die blöde Tante lassen wir mal weiter mit ihrem Gerede allein.

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