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Neulich auf Facebook – Oder: Wenn man für ein Hobby Ellenbogen braucht

Beim Surfen im World Wide Web, bzw. besonders auf Social Media Plattformen, kann man es besonders gut erkennen. Ja, hier trifft Not auf Elend. Und würde hier plötzlich eine Zombieplage losbrechen, die meisten Zombies würden in ihrer Nachbarschaft jämmerlich verhungern. Vorausgesetzt, Zombies fangen nicht auch plötzlich das Glitzern an… Aber ich schweife ab.
Angeregt durch eine (fiktive?) Diskussion auf der Facebook-Seite eines Babybreiherstellers habe ich dazu entschlossen, mal ein Experiment zu starten, und folgenden Aufruf auf einer großen Deutschen Anime-Facebook-Page posten lassen:
Serena (17) braucht Hilfe bei ihrem Cosplay. Sie hat sich vorgenommen, dieses Jahr zur Connichi Elsa aus „Die Eiskönigin“ zu cosplayen, und braucht Hilfe beim Kleid. Besonders beim Stoff ist sie sich nicht sicher. Außerdem fragt sie, da sie neu in der Szene ist, ob es Plattformen gibt, wo sie ihre Fan Arts hochladen kann.
Im Laufe der kommenden 24 Stunden erhält Serena gut dreihundert Antworten. Nur etwa ein Dutzend geht direkt auf ihre Frage ein.
27 Otakus geben nach dem Besuch von Serenas eigenem Facebook-Profil zu bedenken, dass sie für Elsa doch ein wenig zu dick sei. Zur Antwort erhalten jene 27 Otakus einen Shitstorm, dass Gewicht und Aussehen keine Rolle spielen würden.
20 weitere Fans beklagen, dass es doch genug Elsa-Cosplayer gäbe, ob sie sich nicht etwas Originelleres einfallen lassen könnte.
Fünf Cosplayer freuen sich hingegen, dass sie einer weiteren Elsa-Cosplayerin auf der Connichi begegnen wollen und planen bereits eine Frozen-Gruppe. Neunzehn Facebook-Mitglieder äußern sich interessiert als Fotografen und wollen „unbedingt ein paar schöne Fotos“ machen.
Ein Fotograf diskreditiert die anderen fünf als Amateure, da sie nicht mit dem geeigneten Equipment arbeiten. „Das sieht man sofort“, behauptet er. Wie man denn solche Fotos der Öffentlichkeit überhaupt zumuten könne.
Sechs Fans (offenbar Mitglieder einer großen Plattform) freuen sich darüber, dass solche Fotos bei ihnen gar nicht erst freigeschaltet würden.
Achtundsechzig Fans gehen auf die Frage nach den Fan Arts ein. Sechs davon bemängeln, dass sie die Figuren „doch nur abgezeichnet hat“, die großen Augen wären doch eindeutig von Arina Tanemura geklaut. Sie solle das Zeichnen lieber aufgeben, wenn sie nicht langsam einen eigenen Stil fände.
Daraufhin entbrennt eine hitzige Diskussion zu Thema Fan Arts. In deren Verlauf outen sich etliche Zeichner, die mit ihren Zeichnungen Geld verdienen. Nur dann, so die Zeichner, sei man wahrer Manga-ka. Sie bekommen daraufhin schriftlich Dresche von einigen Fans, die fragen, wieso diese Szene nur so „verkackt kommerziell“ werden konnte. Die Antwort der Zeichner: „Ja, meinst du etwa, wir machen uns zum Spaß die ganze Arbeit?“ Das Argument „von Fans für Fans“ wird mit den Worten „So nen Scheiß gibt es nicht“ abgewiegelt. Die Cons würden es doch vormachen, schließlich nehmen die ja Eintritt.
Eine andere Person fragt, ob Serena Fan der Serie Gossip Girl sei, und daher ihren Spitznamen habe. Vier Leute vermuten hingegen, dass sie wirklich Serena heißt.
Ein Otaku schreibt, dass sie ihr jetzt direkt nicht helfen könne, aber wenn sie irgendwann al Youtuberin werden wollen würde, könnte sie ihr helfen. Auch eine eigene Webseite könnte sie Serena aufbauen. Immerhin braucht jeder Youtuber ja seine eigene Homepage, und wenn sie irgendwann mal Sängerin oder Fandubberin werden will, dann soll Serena sie nur ansprechen.
Neunzehn Leute diskutieren daraufhin über Talent und Nicht-Talent der Youtuberinnen, und fragen, wieso immer mehr dieser „Stars“ sich unbedingt auf die Con-Bühne stellen müssen. Da gehören doch nur „echte Showgrößen“ hin. Jan Hegenberg zum Beispiel. Zur Strafe fragen etliche User, was denn Jan Hegenberg mit der Anime-Szene zu tun haben soll, der würde doch hauptsächlich Gamer-Songs schreiben.
Eine einzelne Person gibt Serena den Tipp, unbedingt an einem Cosplay-Wettbewerb teilzunehmen, wenn sie berühmt werden will. Einige sind da jedoch anderer Meinung. Ihrer Ansicht nach würde sie „ja gar nicht gut genug“ aussehen, um beim Cosplay-Wettbewerb auch nur den Hauch einer Chance zu haben.
Zwei User unterbreiten ihr das Angebot, mit ihrem Cosplay Geld zu verdienen, da gäbe es einen großen Markt, gerade bei Kindergeburtstagen und ähnlichem.
Nach 24 Stunden schaltet sich die OP Serena selbst in die Diskussion ein. Sie schreibt folgendes:
„Liebe Facebook-User, vielen Dank für den Haufen unnützer Tipps. Diejenigen unter euch, die mir wirklich helfen wollen, haben das bereits per PN getan, und wir haben uns zu einem Treffen auf der Connichi verabredet. Ich danke euch übrigens dafür, dass ihr mich fett und hässlich genannt habt, und sollte ich irgendwann mal so viel Gehirn verlieren, um Youtuberin zu werden, weiß ich jetzt genau, was ich zu tun habe. Im Übrigen werden die „Highlights“ eurer Diskussion demnächst in der Zeitschrift xxxx (Name von der Redaktion geändert) abgedruckt. Da soll nochmal einer sagen, die Szene hat sich nicht verändert. Ich jedenfalls weiß, dass ich von anderen Fans keine Hilfe zu erwarten habe, hier ist sich scheinbar jeder selbst der nächste.“
Binnen weiterer vier Stunden wird der Post von der Seite gelöscht.
Oder war er jemals da? Was ich euch hier geschildert habe, ist frei erfunden, und inspiriert von oben genanntem Beitrag eines Babybreiherstellers, sowie etlicher Foren Posts auf diversen Plattformen.
Aber sind wir mal ehrlich: Genau so läuft es doch, oder? Klar, alles verändert sich. Aber so richtig krass ist diese Veränderung, dieser Neid, diese Missgunst, dieses Konkurrenzdenken doch erst seit Social Media. Jetzt geht es doch nur noch um Klicks, Likes und was man sonst noch braucht, um sich gut zu fühlen. Wer sein Hobby aus Spaß betreibt, weil es ihm gefällt, der wird doch nur noch ausgelacht. Selbst namhafte Youtuber sehen sich gezwungen, sich in Vlogs zu rechtfertigen, warum sie einen Tag mal kein neues Video gepostet haben. Der Let’s Player Sarazar hat in eine Vlog allen Fans, die Druck aufgebaut haben, erklärt, dass es ihm egal ist, ob sie ihn „haten“, denn auch wenn er und sein Kumpel Gronkh mit den Videos Geld verdienen, wollen sie selber bestimmen, wann sie was hochladen.
Der Druck der Fans hat einige Menschen zu echten Arschlöchern werden lassen, und mehr noch: Einige, die ihr Hobby aus Spaß betrieben und jahrelang Freude daran hatten, gaben bekannt, ihr Hobby aufgeben zu wollen, weil sie vor lauter Erwartungshaltung nicht mehr das tun konnten was sie wollten, und deshalb den Spaß und die Freude am Hobby verloren.
Neulinge hingegen… die werden erstmal weggemobbt. Noch mehr Konkurrenz? Bloß im Keim ersticken! Danke Social Media, dass du endlich die dreckige, verkommene Seite der Menschen an die Oberfläche beförderst und Mobbing und Spaß zerstören so einfach machst.
Und wer denkt, dass es nur in der Anime- oder Youtuberszene so ist: Weit gefehlt. Autoren, Fotografen, Modellbauer, Sänger, ja, selbst die einst so eingeschworene Rotte der Briefmarkensammler ist mittlerweile ein Kriegsgebiet. Danke, Facebook.
P.S. Ich brauche, denke ich, nicht zu erwähnen, dass dieser Beitrag vor Sarkasmus nur so strotzt…wobei….jetzt muss ich doch wieder an die armen, hungernden Zombies denken.

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