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Fantasy kann doch nicht Kultur sein: Oder, wenn der Ork ein Würdenträger wird

Bücher, mein Leben, meine Liebe, meine Passion. Was ich lese? Alles. Genre ist mir egal. Es gibt nichts, was ich ausschließe, so lange die Wörter mich erreichen und etwas vermitteln. Da kann die Blechtrommel genauso klingen wie das Lied von Eis und Feuer.

Was das soll? Hier der versprochene Teil zwei meines Event-Rants. Und die entsprechende Veranstaltung ist am vergangenen Wochenende zu Ende gegangen. Die Leipziger Buchmesse. Der Schmelztiegel der deutschen Intellektuellen. Zumindest wenn man den breiten Medien glauben darf (darf man denen überhaupt was glauben?).
Am LBM-Freitag, also dem ersten „öffentlichen Tag“, schaute ich mir (eigentlich mehr aus Versehen) die Sendung „Aspekte“ im ZDF an. Nun sind ja gerade das Erste und Zweite nicht für die Verherrlichung der Populärkultur bekannt (außer es geht um Flori und Helene). Nein, dort zelebriert man die hochgeistige Wissenschaft des Bullshitlaberns. Über die Nachrichten, also „heute“ oder die „Tagesschau“ kann man nichts sagen. Das sind ja Nachrichtenformate, die es in unveränderter Form seit Jahren gibt, und seien wir ehrlich, hin und wieder schaut jeder die Tagesschau (auch ein RTL-Verfechter und Wallraff-Fan).
Aber was man sonst da sieht, ist jetzt nicht unbedingt das, was die Jugend interessiert. Irgendwelche Dokumentationen über die (zugegeben) desaströsen Zustände in Altenheimen oder Krankenhäusern, intelligent abgewechselt mit Eisbär, Löwe, Kackbratze und Co. Ach ja, und wie man seine Habseligkeiten (und vielleicht auch seine Schwiegermutter) verramscht, zeigt mir neuerdings nicht nur der Trödeltrupp, sondern auch Herr Lichter (ja, dieser komische Koch mit dem Schnäuzer…..anscheinend läuft sein Restaurant gerade nicht so gut, da muss er sich was dazuverdienen).
Ja, schaut man sich diese beiden Sender regelmäßig und über einen längeren Zeitraum an, kann man nachvollziehen, warum ARD und ZDF vorwiegend als „Rentner-Sender“ gelten. Hin und wieder ist da auch für mich was Interessantes dabei, aber im Großen und Ganzen brauche ich den Großteil des Programms nicht für mein Leben.
Umso mehr freut es mich da, wenn diese Sender über gesellschaftliche Großereignisse (nein, nicht die Eheschließung des siebenundzwanzigsten schwedischen Thronfolgers) berichtet.
Die Leipziger Buchmesse.
Ich war gespannt wie ein Flitzebogen, da ich wusste, dass sehr viele befreundete Autoren (aller Couleur und Genres) auf der LBM (Ich bin euch den Beitrag mit den Abkürzungen noch schuldig), teilweise auch mit einem Stand, vertreten sind. In den letzten Jahren ist ja gerade die Indie-Kultur auf der LBM wesentlich präsenter geworden.
Mit Popcorn und Cola saß ich also auf dem Sofa und bekam…..
….eine Buchbesprechung über eine Wiener Autorin und ihren Lebensratgeber als zweifache Mutter.
Das, was ich hörte, war unterwältigend, und wenn man diese Frau als Leitbild und literarisches Vorbild nimmt, dann frage ich mich echt, warum die LBM soooo groß ist.
Ein Ratgeber unter tausenden, die man auch in der Brigitte, Laura oder Für Sie finden kann. Ich weiß nicht warum, aber SIE ist was Besonderes. Ich hab es nicht gelesen, vielleicht ist sie ja über die stille Treppe hinausgewachsen.
Wie auch immer, es ging weiter, und endlich…ENDLICH….kam der Sprecher zu den Mangas…..und das Bild zeigte Furries….liebes ZDF, macht erstmal eure Hausaufgaben, bevor ihr so groß auf die Kacke haut. Furry hat mit Cosplay und Manga ungefähr so viel zu tun, wie ein alter Golf GT mit der Formel 1. Irgendwie Verkleidet, ja….das wars dann aber auch schon.
Partnerland war in diesem Jahr ja Israel. Holocaust-Mahnprediger, ich höre euren Ruf von weitem und schreite voran. In die andere Richtung. Ganz ehrlich. Es ist scheiße, was damals unter Adolf Hitler passiert ist. Bei all den erhobenen Zeigefingern: wir alle wissen, was passiert ist, und tun unser Bestes, dass so etwas nie wieder passiert.
Aber deshalb möchte ich nicht bei jedem Buch, das ich lese, immer wieder das Gefühl bekommen, dass ich persönlich an allem Schuld bin. Ich lese diese Bücher gerne, auch Bücher, die in der Zeitepoche spielen, aber mit dem Holocaust nichts zu tun haben (Die Bücherdiebin zum Beispiel). Zeigt es doch, dass dieses schwarze Kapitel der Geschichte auch anders aufgearbeitet werden kann, ohne den Jugendlichen eine „Erbschuld“ einzubläuen.
Nach diesem sehr ernüchternden Beitrag über die LBM fehlte mir ein Aspekt jedoch vollständig. Belletristik und Populärkultur.
Und mit Belletristik meine ich gewiss nicht nur leichte Frauenlektüre à la Rosamunde Pilcher. Auch Fantasy, Science-Fiction und Historische Romane gehören für mich zur Belletristik dazu. Wikipedia gibt mir Recht, denn laut der online-Enzyklopädie gehören neben der klassischen „Erzählenden Literatur“ auch Thriller und Comics dazu. Denn Belletristik bedeutet ja eigentlich nichts anderes als „Unterhaltungslektüre“.
Aber wo waren diese Genres denn bitte in dem Beitrag? Okay, Erzählende Literatur, sowas wie etwa irgendwelche Geschichten von Hausfrauen und ihren alltäglichen Problemen beim Hornhautraspeln findet man auch gerne mal im „Literarischen Quartett“, wo dann irgend so ein Kritiker sitzt, der herausstellt, was man alles in die Geschichte von der Kette, die ins Klo gefallen ist, hineininterpretieren kann.
Ich weiß schon, warum ich nicht Germanistik studiert habe.
Wenn ich aber darauf hoffe, ein Fantasybuch dort zu finden, werde ich bitter enttäuscht. Man kann durchaus und berechtigt den Eindruck bekommen, Fantasy und dergleichen sei Literatur für Menschen, deren Bildung das Niveau der Hauptschule vielleicht gerade so übersteigt. Für mehr ist Fantasy jedoch nicht gut. Und Liebesschnulzen….die gelten ja als „Groschenromane“, die muss ein gebildeter, gescheiter Mensch nicht lesen. Doch da sind ZDF und ARD eh ein wenig schizophren. Im Club der lesenden Weisen, finden diese Pilchers und Lindströms keinen Platz, kann man ja nichts reininterpretieren. Aber zum Verfilmen sind sie geeignet? Diese Doppelmoral kann ich nicht verstehen. Oder trauen sie ihren älteren Zuschauern nur noch platte Filme zu, da sie mit hoher Literatur schon ausgelastet sind?

Dann kann ich wiederrum verstehen, dass so hochgestochene und wertvolle Werke vorgestellt werden, wie von Günther Grass, Thomas Mann und…ach, keine Ahnung, weil sie mich persönlich nicht so interessieren als dass ich sie für das Nonplusultra halte. Ich habe „Die Blechtrommel“ zwar gelesen, derartige Literatur ist jedoch nicht gerade leichtverdaulich, und nicht jede rversteht sie. Nein, jetzt gebe ich denen Recht, die ich eigentlich kritisiere. Argh. Ich habe nunmal keine Lust, einen Duden und ein Lexikon neben mir liegen zu haben, nur um ein Buch zu verstehen. Denn dort hört für mich die „Unterhaltung“ einfach auf.

Ich streite nicht ab, dass die Herren mit ihren Büchern Kulturgeschichte geschrieben haben. Aber das hat ein Herr Tolkien auch. „Der Herr der Ringe“ verbindet sogar Generationen. Unsere Eltern haben vielleicht die Bücher gelesen, wir kennen sie spätestens durch die Verfilmung von Peter Jackson. Obwohl Tolkien bereits seit über 70 Jahren tot ist.
Vielleicht ist ja der Schlüssel. Man muss erst abkratzen, damit das Buch einen literarischen Einfluss auf die Kultur der Menschen ausübt.
Das gilt übrigens nur für die öffentlich-rechtlichen Sender (mit einer Ausnahme, die ich gleich aufzähle). Die Privaten befassen sich erst gar nicht ausgiebig mit der LBM. Dort hackt man lieber auf Hartz-IV-Empfängern herum oder zeigt irgendwelche Hirnverbrannten Typen vor Gericht. Über die Berichterstattung, wenn sie dann doch mal stattfindet, lasse ich mich hier nicht aus. Computerspieler und Cosplayer wissen, worauf ich anspiele.
Einzig Bücher wie „Feuchtgebiete“ oder „Shades of Grey“ halten Literatur-Deutschland in Atem.
Es ist grausam. Terry Pratchett (Möge der Tod an seiner Seite sein) war den meisten Sendern nur eine kurze Meldung in den Nachrichten wert. Wenn aber eines Tages unsere deutsche Antwort auf E.L. James (ihr wisst schon, die mit der Geschlechtskrankheit in der Geschichte) stirbt, dann wird das Zweite wahrscheinlich eine abendfüllende Dokumentation bringen. Der Sendeplatz für den Silbereisen-Nachruf ist wahrscheinlich schon festgelegt.
Wieso findet Fantasy und andere „leichte Literatur“ nicht die Beachtung, die sie (manchmal) durchaus verdient? Warum finden gerade Deutsche Autoren nicht die Plattform, die einer J.K. Rowling bekam. Wieso müssen die Kerstin-Gier-Verfilmungen „Saphirblau“ und „Smaragdgrün“ mittels Crowdfunding finanziert werden, und das ZDF gibt regelmäßig (unsere!) Kohle für irgendwelche Fernsehfilme aus, die sich in Handlung und Ausgang immer ähnlicher werden und sich wiederholen?
Dabei hat doch Maria Ehrich, die Hauptdarstellerin jener „Edelstein“-Verfilmungen den Nachwuchspreis der Goldenen Kamera bekommen. Das zeigt doch, dass die Zuschauer es anders sehen (Wortspiel beabsichtigt!).
Der Markt wäre also durchaus da. Aber wer kann was bewegen? Die Verlage sind da in erster Linie am Drücker. Statt Lizenzen aus Amerika zu kaufen (klar ist ja billiger) könnte man auch hier in Deutschland einen Autor „aufbauen“, „großziehen“. Was tun wir stattdessen? „Oh schau mal. Shades of Grey….das können wir doch sicherlich auch. Komm, wir schreiben unsere eigenen Erotikbücher, die dann den Markt überschwemmen.“
Nach Harry Potter und Twilight kamen unzählige Ableger nach Deutschland. Einer schlechter als der nächste. Nach „Hunger Games“ erlebte ich dasselbe Phänomen.
Anstatt das die Verlage Innovativ schauen, was vielleicht noch geht, springen sie im Verlagsprogramm immer auf Wellen auf und warten auf neue Trends aus Amerika. Indies, mit eigenen Ideen haben es da schwer. Vampir ist gerade voll Inn aus Übersee, schreib du auch mal einen, dann haste ne Chance im Verlag.
Die einzige Sparte, in der auch Orks Würdenträger sind, ist und bleibt (vorerst) das Indie-Segment. Ich lese mittlerweile genauso viele Verlagsbücher wie ich Bücher von Indie-Autoren und Selfpublishern lese. Denn hier wird viel mehr experimentiert, egal ob es der Markt gerade hergibt oder nicht. Da findet man Steampunk-Romane (der letzte größere Geniestreich in Deutschland ist auch schon ein paar Jahrzehnte her) und mittelalterliche Zeitreisen (die hin und wieder ein wenig an Game of Thrones erinnern, aber auch die Reihe ist ja schon ein paar Jahrzehnte alt).
Klar, auch dort gibt es „massenkompatible ‚Romantasy‘“ à la „Vampir liebt Mensch“, aber immer wieder ein wenig anders.
Und worüber berichten die Medien? Über hochgeistige Literatur, die kein Nicht-Studierter versteht (manchmal auch, weil es als Dialekt-Roman geschrieben ist). Kein Wunder also, dass ARD und ZDF das Image des Rentner-Senders haben.
Ich würde mir wünschen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Scheuklappen ablegen, und abseits der geistigen Elite schauen. Sie sind doch „Volkssender“. Hochgeistiger Literatur, ist aber keine Volksliteratur. Warum hatten Schriftsteller wie Goethe und Schiller zu ihrer Zeit so großen Erfolg? Sie schrieben, wie dem Volk der Schnabel gewachsen war. Sie schrieben Geschichten, die die Menschen der „unteren Klasse“ verstanden. „Götz von Berlichingen“ und das herrliche Zitat haben ihren Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden. Und heute zählt das zu den Standardwerken im Deutschunterricht.
Die Autoren von heute schreiben ebenfalls für die Masse. Aber das ist verpönt. Ist die heutige Ausdrucksweise also nicht intelligent genug, dass sie lesenswert ist? Muss ich mir den Stock in den Po stecken, um Beachtung zu finden? (Obwohl ich mit dem Stock im Po sicher für Aufsehen sorgen und auf der Welle von „Shades of Grey“ getragen werde würde!) Was ist nur aus dem Land der Dichter geworden? Okay, du musst schon SEHR dicht sein, um die Literatur, die heute als „Pflicht“ angesehen wird, zu verstehen. Aber mit Masse und Publikum hat das nichts mehr zu tun.
Ich geselle mich dann mal wieder zu den Orks. Die verstehen mich wenigstens. Und wenn ich dann eines Tages mal sterbe, vielleicht, ja, ganz vielleicht, verfilmt dann jemand meine Bücher. Und dann bin ich posthum Kulturgut. Bis dahin könnt ihr vom ARD und ZDF mich mal „im Arsche lecken“ und Frau Pilcher frönen.

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