Kurzgeschichten

Harmonie entsteht durch Gleichgewicht

Letztes Jahr im November begann die Fotoausstellung von Foto-Treff-Bielefeld zum Thema Gegensätze.  Ich habe nicht nur ein Foto ausgestellt, sondern auch ein Märchen geschrieben. Das könnt ihr heute auf meinem Blog lesen!

 

Harmonie entsteht durch Gleichgewicht

 

Es waren einmal ein alter König und seine Königin. Diese beiden hatten einen Sohn, der bald über das Königreich herrschen sollte. Doch die Gesetze des Reiches schrieben vor, dass der junge Prinz erst eine Frau ehelichen müsse, die zusammen mit ihm das Königreich regieren solle.

Viele Prinzessinnen waren von weit her angereist, doch der Prinz fand einfach keine Liebste. Keine schien für ihn die Richtige zu sein. Haarfarbe, Größe, Augen, Vorlieben. Immer fand der Prinz einen Grund, die Frau zurückzuweisen.

Gesundheitlich ging es dem alten König sehr schlecht, das Volk befürchtete das baldige Ableben ihres geliebten Herrschers. Das Königspaar ahnte auch, dass die Zeit drängte. Sie waren verzweifelt. Was war nur mit ihrem Sohn los.

Eines Abends betrat die Mutter das Schlafgemach ihres Sohnes.

„Junge, du musst dir eine Frau suchen. Dein Vater ist schwer krank und du sollst doch auf den Thron steigen. So viele Prinzessinnen kamen von Weit und Nah, und keine sagte dir zu.“

„Ach, Mutter. Sie sind einfach anders.“
„Wie meinst du das? Sie sind anders?“

„Mutter, ich will eine Frau, die ganz genauso ist wie ich. Sie soll die gleichen Augen, die gleichen Haare haben und sie soll Pferde lieben, Musik mögen und Gedichte lesen. Sie soll wie mein Spiegelbild sein.“

„Ich verstehe, aber ich glaube, dass kann wird sehr schwer werden.“

Die weise Königin überlegte eine Weile, dann gab sie ihrem Sohn folgenden Rat:

„Ich mache dir einen Vorschlag. Ziehe alleine durch die Lande und suche dir deine Frau. Wenn sie nicht zu dir kommt, dann musst du sie vielleicht selber finden. Beherzige jedoch folgenden Rat, mein geliebter Sohn, vielleicht hilft es dir weiter. Harmonie entsteht durch Gleichgewicht. Gehe nicht nur geradeaus mein Kind, sondern schau auch Rechts und Links vom Weg, denn nur so können wir unsere Mitte finden.“

„Ich verstehe nicht was du meinst, Mutter.“

„Die Antwort wird dich ereilen, sobald du zu verstehen bereit bist.“

Mit diesen Worten ließ sie ihren Sohn allein zurück.

Der junge Prinz machte sich am nächsten Tag auf, seine zukünftige Frau zu finden. Seine Eltern sah er nicht mehr. Er bekam ein Pferd, einfache Kleidung und ein Beutel mit wenig Geld. An dem Beutle war ein kleiner Zettel, er erkannte die geschwungene Handschrift seiner Mutter.

„Mein lieber Sohn. Mach dich auf Weg. Du sollst so leben, wie es unsere Untertanen tun, schau in das wahre Leben und erkenne den anderen Teil, der das Ganze ausmacht. Ohne das eine, gäbe es das andere nicht und umgekehrt. Sammle viele Eindrücke, lerne die Welt verstehen und ich bin sicher, du wirst die richtige Frau finden. Pass gut auf dich auf, wir haben dich lieb.“

Der Prinz war jetzt noch verwirrter als am Abend zuvor. Er sollte sich unter das Fußvolk mischen? Aber er wusste, dass seine Mutter eine sehr weise und gebildete Frau war. Sie würde sicher wissen, was sie tat. So schwang er sich mit vielen Fragen auf sein Pferd und ließ das Schloss hinter sich.

 

Ohne Plan und ohne Ziel ritt er bis die Nacht hereinbrach. Im Dunkeln kam er an ein Wirtshaus. Es schien schon geschlossen zu sein. Dunkel und schwarz stand es vor ihm. Er nahm seinen Mut zusammen und klopfte. Eine kleine, alte Dame öffnete ihm.

„Sie wünschen?“

„Ich hätte gerne ein Zimmer für die Nacht. Allerdings wäre es mir lieb, wenn es in diesem Zimmer eine Öllampe gäbe, die des Nachts das Zimmer erhellen möge.“

Die Wirtin schüttelte den Kopf und lachte.

„Die Menschen fürchteten die Dunkelheit und vertrieben sie mit Feuer. Doch dabei vergaßen sie, dass das eine nicht ohne das andere existieren kann.“

„Ich möchte nur ein Zimmer.“

„Nein, sie möchten verstehen. Licht und Schatten können ohne einander nicht existieren.“

Der Prinz starrte die alte Frau nur fragend an. Sie schien alt und senil zu sein und einfach nur wirres Zeug zu reden.

„Bekomme ich ein Zimmer, bitte?“

„Das können sie wohl, allerdings ohne die Öllampe. Öl ist teuer. Treten sie ein.“

Die Wirtin des Gasthauses begleitete den jungen Mann nach oben in ein winziges Zimmer.

„Geruhen sie wohl.“

Obwohl es draußen stockdunkle Nacht war, war das Zimmer trotzdem hell erleuchtet. Der pralle Vollmond erhellte die Kammer. Und der Prinz dachte nach:

„Wäre draußen nicht so finstere Nacht, dann könnte der Mond dieses Zimmer nicht so sehr erhellen. Die Alte hat wohl Recht, das eine kann nicht ohne das andere existieren.“

Mit dieser Einsicht schlief er ein.

 

Die Wirtin machte dem Herrn noch ein Frühstück, er bezahlte seine Rechnung und er ritt weiter. Am Nachmittag kam er in ein Dorf. Auf dem Marktplatz stand ein Maler. Er war mit seiner Staffelei der großen Kirche zugewandt und zeichnete. Der Prinz stieg von seinem Pferd herab und schaute dem Künstler über die Schulter.

„Das Bild ist ja nur grau. Ich erkenne gar nichts.“

Der Maler hielt in seiner Arbeit inne und er sah seinem Beobachter direkt in die Augen.

„Das Bild ist weit mehr als nur grau. Es ist schwarz und weiß, denn ich finde, dass man mit nichts weiter als der schwarzen Kohle und der weißen Leinwand genauso gut die Schönheit unserer Welt einfangen kann, wie mit allen Farben des Regenbogens.“
„Ich erkenne auf dem Bild aber nichts. Es ist nichts mehr als Hell und Dunkel. Grau in Grau.“

„Öffnen sie einfach nur ihre Augen, junger Herr. Öffnen sie ihr Herz. Nur zwei unterschiedliche Dinge können ein Ganzes ergeben. Schauen sie nochmal genau hin.“

Der Prinz stellte sich aufrecht hin und betrachtete das Bild nochmals genauer. Da passierte plötzlich was Merkwürdiges. Aus schwarz und weiß und grau wurde ein Bild. Es war die Kirche, vor der sie standen. Aus zwei unterschiedlichen Dingen, war ein ganzes geworden.

 

Der junge Prinz ritt weiter. Er hatte das Gefühl, er sei dem Rat seine Mutter auf der Spur. Harmonie entsteht durch Gleichgewicht. Schwarz und Weiß. Licht und Dunkel. Wenn es das eine nicht gab, konnte das andere nicht existieren. Nur zusammen ergaben sie ein Bild.  Irgendwie schien das alles zu der Lösung zu gehören. Aber er kam nicht drauf.

Er ritt die nächsten Tage mit vielen Gedanken im Kopf.

Auf seinem Weg entdeckte er viele weitere Dinge, die sich trotz ihrer Unterschiede ergänzten. In einem Moment suchte er unter den mächtigen Baumkronen Schutz vor dem Regen im nächsten Augenblick zauberte das Licht der Sonne einen farbenfrohen Regenbogen an den grauen Himmel. Er entdeckte ein Rudel Hirsche mit großen Geweihen, die mit ihren Jungtieren auf der Suche nach Nahrung waren.

Eines Tages hörte er in der Ferne das Donnern von Hufen. Am Horizont machte er einige Kutschen aus, die sich eilig auf ihn zubewegten. Aus der Staubwolke vor ihm lösten sich 2 einzelne Reiter.

„Macht Platz für ihre königliche Majestät, Prinzessin Antonia!“

Hastig folgte er dem Befehl. Die Reiter versperrten ihm den Weg und warteten, bis die Kutsche vorbeigefahren war. Als der Prinz gerade sein Gesicht verdecken wollte bremste die Kutsche ab. Die zwei Reiter, offenbar Ritter des königlichen Gefolges, traten an die Kutsche und öffneten die Tür.

„Euer Majestät, warum halten wir an?“

„Warum versperrt ihr einem armen Bauern den Weg? Ich möchte mit ihm sprechen.“

Der Prinz beobachtete, wie eine junge Frau aus der Kutsche stieg. Ihm kam es sehr befremdlich vor, dass er für einen Bauern gehalten wurde und noch befremdlicher fand er es, dass die Prinzessin sich auf seine gegenwärtige Stufe hinabließ. Er hätte das nie getan. Sein Herz machte einen kleinen Hüpfer, sie musste eine sehr warmherzige Person sein. Die Prinzessin trat auf ihn zu, und er konnte sie nun betrachten. Sie hatte schwarze dichte Haare, nicht so blond wie seine. Ihre Haut schimmerte olivfarben in der Sonne, während er im Sonnenlicht immer blass wirkte. Ihre Augen hatten das dunkelste Braun das er jemals gesehen hatte. Kein bisschen blau konnte er darin finden. Sie war nicht das Spiegelbild, was er sich immer vorgestellt hatte, dennoch faszinierte diese sonderbare Frau ihn, die so anders war.

„Nennt mir Euren Namen!“ forderte die Prinzessin freundlich.

„Zander, Prinz dieses Landes.“

Die Prinzessin blickte ihn irritiert an und brach dann in schallendes Gelächter aus.

„Ihr? Ein Prinz?“
In diesem Moment wurde dem Prinzen bewusst, dass er immer noch die einfache Kleidung trug, die ihm seine Mutter gegeben hatte.

„Es mag für euch nicht verständlich sein, aber ich spreche die Wahrheit.“

„Dann verratet mir, edler Prinz, warum ihr keine Kleidung tragt, die eures Standes würdig ist.“

„Wenn es diese standesunwürdige Kleidung nicht geben würde, holde Prinzessin, wäret ihr keine Prinzessin. Und hätte ich standeswürdige Kleidung an, hätte ich euch wohl nie getroffen.“

Der Prinz erzählte der Prinzessin von seinem Auftrag und das er in den letzten Tagen gelernt hatte, wie wichtig es war, das es diese Gegensätze gab. Gegensätze, so wusste er jetzt zu berichten, ergänzten sich zu einem Ganzen und konnten nie ohneeinander sein.

Prinzessin Antonia gefiel das was sie hörte, und sie ließ sich vom Prinzen auf das Schloss einladen.

Wenige Wochen danach wurde Hochzeit gefeiert. Der Prinz hatte sein Gegenstück in Antonia gefunden. Endlich hatte er die Worte seiner Mutter gänzlich begriffen. . Harmonie entsteht durch Gleichgewicht. Er hatte gelernt auch Rechts und Links des Weges zu schauen und endlich seine Mitte gefunden.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann Leben sie noch heute.

 

 

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